Über den Wunsch die Dinge in Einklang zu bringen

Alexander R. Titz hat im Jahr 2002 gleich zwei Auszeichnungen für seine Klangkunst-Arbeiten erhalten: Er ist einer der drei Preisträger des erstmals ausgelobten Deutschen Klangkunstpreises in Marl und zugleich Preisträger des von der Stadt Stadtlohn (Nordrhein-Westfalen) verliehenen “Förderpreis Junge Kunst”.

Titz, 1968 in Düsseldorf geboren, studierte freie und audio-visuelle Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar bei Wolfgang Nestler, Ulrike Rosenbach und Christina Kubisch, deren Meisterschüler er war, sowie Kunsterziehung an der Universität des Saarlandes. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunsterziehung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Im Sommer 2000 war er mit einer Arbeit bei den renommierten Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt vertreten und im November 2000 widmete ihm die Stadtgalerie Saarbrücken eine Einzelausstellung. Mit Alexander R. Titz sprach für Saarbrücker Hefte Stefan Fricke.

Stefan Fricke: Was ist eigentlich Klangkunst?

Alexander R. Titz: Das muss eigentlich jeder Künstler durch seine eigene Arbeit definieren. Ich gehe ja nicht so vor, dass ich mir sage “Ich will jetzt Klangkunst machen”, sondern ich habe ganz andere Interessen: mich interessieren bestimmte Phänomene. Klangkunst ist dann ein Begriff, der von anderen benutzt wird, um mit den Arbeiten, die ich als Künstler gemacht habe, umzugehen.

Aber du wehrst Dich nicht dagegen, dass du als Klangkünstler bezeichnet wirst?

Nein, ich wehre mich nicht dagegen, aber von meinem Empfinden her fühle ich mich eher als Bildhauer. Leider gibt es im Deutschen keine Bezeichnung, die auf dem Begriff “Skulptur” basiert, wie das englische Wort “Sculptor”. So würde ich mich am liebsten bezeichnen.

Aber der Begriff Klangkunst ist dennoch nicht ganz falsch...

… das stimmt. Er bezeichnet für mich die Erweiterung der Skulptur in den auditiven Raum. Und das ist auch mein Ausgangspunkt: ein Objekt, eine Situation mittels Klängen als Plastik zu erweitern, auch in den nicht-materiellen Raum hinein. Der Begriff Klangkunst gibt mir die Möglichkeit, den Bereich der Bildenden Kunst, wo ich jedenfalls mit Objekten arbeitete, und den Bereich der Musik, wo ich den zeitlichen Verlauf von Klängen strukturiere, miteinander zu verbinden. Deshalb fällt es mir eher schwer, die Klangkunst begrifflich abzugrenzen, weil diese Offenheit ja gerade die Möglichkeit bietet, Dinge zusammenzuführen, die eigentlich begrifflich getrennt sind. Und ich finde es auch schön, wenn der Begriff Klangkunst ein offenes Feld bleibt, in das verschiedene Dinge einfließen können, um es mal bildhaft zu beschreiben. Für mich ist bei Klangkunst wichtig, dass mehrere Sinne an der Wahrnehmung einer Arbeit beteiligt sind. Es geht nicht nur darum, Dinge zu sehen, sondern sie auch zu hören: es geht um eine ganzheitliche Wahrnehmung, die den Raum und auch die eigene Bewegung darin einbezieht. Dadurch kann dem Betrachter seine körperliche Existenz – seine eigene Plastizität – ganz anders bewusst werden, besonders wenn er mit der Arbeit interagieren kann. Dabei spielt die Zeit eine wesentliche Rolle. Oft ist es in der Klangkunst ja so, dass der Betrachter die Zeit, die er sich nimmt, um die Arbeit wahrzunehmen, selbst bestimmt. Er legt seine Eigenzeit fest. Im Gegensatz zu einem Konzertstück, wo üblicherweise der Komponist die Wahrnehmungszeit festgelegt, hat das Publikum in der Klangkunst eine größere Freiheit.

Nun benennt der Begriff Klangkunst, du hast seine Offenheit schon erwähnt, ein sehr weites Spektrum von Phänomenen: Manche Arbeiten sind oder tendieren deutlich zur Installation, zuweilen gar zum Environment, andere sind Skulpturen plus Klang, wieder andere sind hauptsächlich Klänge mit den dazu notwendigen Reproduktionsgeräten usw. Gibt es ein Hauptcharakteristikum deiner Arbeit?

Das ist sicher mein Wunsch auf den konkreten Ort einzugehen, für den ich eine Arbeit entwerfe. Deshalb bewege ich mich auch nicht ausschließlich im Bereich der sogenannten Klangkunst, weil mir andere Mittel manchmal angebrachter erscheinen. Den Schwerpunkt würde ich dabei wieder auf der skulpturalen Seite sehen. Musikalische Vorstellungen ergeben sich für mich meist aus situativen Überlegungen oder daraus, dass ich natürliche Phänomene wie Wind oder Wasserbewegungen oder aber den Betrachter mit einbeziehe. Der hat dann bestimmte Interaktionsmöglichkeiten mit der Installation, die mit körperlicher Bewegung zu tun haben. Daraus ergeben sich dann gewisse Klangabfolgen. Es gibt Klanginstallationen, in denen ich selbst nur wenige Rahmenbedingungen vorgegeben habe und dann dem Betrachter die Möglichkeit gebe, mit den Objekten zu interagieren. Aus diesem Zusammenspiel entstehen dann die Klangstrukturen.

Der Betrachter wird quasi zum Mitkomponisten.

Genau. Das mag zeigen, dass ich mich auf der klanglichen Seite sehr zurücknehme und mich mehr auf die Objekte und ihre Strukturen konzentriere, eben auf die Bedingungen unter denen der Betrachter interagieren kann. Damit meine ich die Phänomene, auf welche die Arbeit reagiert. Die letzte interaktive Klanginstallation, Aussicht in 8 Bit, war zum Beispiel lichtempfindlich. Dabei reagierten acht mobile Objekte auf die Veränderungen der Lichtsituation im Raum. Solche Überlegungen spielen in meiner Arbeit eine große Rolle, weniger ganz klare musikalische Vorstellungen im Sinne einer Komposition. Ich habe eher eine klare Vorstellung, was die Klangqualität betrifft. In Aussicht in 8 Bit habe ich verschiedene Lautsprechertypen benutzt und arbeite mit ganz simplen technischen Impulsen. Das führt dazu, dass man die materiellen bzw. skulpturalen Qualitäten der Objekte hört: Wenn die Membran durch den Impuls angeschlagen wird, hört man deren Größe. Kleine Lautsprecher klingen dann hoch, die machen ein pöck; und große klingen tief, die machen puck. Ich führe sozusagen die Konstruktion des Lautsprechers ad absurdum, weil Lautsprecher ja so gebaut sind, dass sie einen Klang linear, also unverfälscht, wiedergeben. Da ich sie jetzt aber anders verwende, hört man das Material, und das gefällt mir daran. Die Lautsprecher sind eben auch eine Skulptur.

Das ist ein interessanter Aspekt. Die meisten Klangkünstler, so scheint es mir, verwenden den Lautsprecher genauso wie der normale Musikanlagenkonsument -als notwendiges Wiedergabemedium, dessen visuelle Dimension sekundär ist oder die gar nicht beachtet wird. Wie beim Klavier, das einfach so im Raum steht…

…und das Beuys in seinen Arbeiten ja auch oft benutzt hat – in Form eines Flügels.

Danke für das Stichwort Joseph Beuys. Von ihm, dem gelernten Bildhauer, stammt der für die Klangkunst wegweisende Satz “Eine Plastik hört man, ehe man sie sieht”.

Ja, dieser Satz ist sozusagen mein Credo.

Und wie ist dieses Credo biografisch motiviert?

Das hat sich durch Naturbeobachtungen ergeben. Ich nehme Natur nicht nur visuell wahr, sondern sehr stark auch akustisch. Unser Blick ist ja nur in eine Richtung und dann meist noch auf bestimmte Objekte fokussiert. Wir sind ja kein Lebewesen, das rundum sehen kann. Und wenn ich mich in der Natur bewege, höre ich oft Dinge, die ich nicht sehe. Dann geht die Aufmerksamkeit dahin: da ist was. Manchmal denke ich: was war das jetzt? Dann bewege ich mich zur Schallquelle hin und versuche etwas zu sehen. Diese Art von Aufmerksamkeit auf die Dinge, die nicht auf ein Objekt fixiert ist, das ist eigentlich mein Ausgangspunkt, meine Triebfeder. Deshalb ist für mich die Installation auch die konsequente Ausdrucksform, weil die Installation nicht eine Arbeit ist, die auf ein bestimmtes materielles Objekt kondensiert ist, wie das bei einer traditionellen Skulptur der Fall ist, sondern es gibt immer Objekte oder Ereignisse, die im Raum verteilt seien können und der Betrachter ist inmitten des Ganzen und wird zum Teil dieser Umgebung. Dieses Eingebundensein des Betrachters ist die Übersetzung meiner Erfahrung. Ich habe das in der Natur auch so empfunden, dass ich dort eingebunden bin und nicht nur irgendwelchen Objekten gegenüberstehe.

In deinen Arbeiten spielt der vorgefundene Raum bzw. die ausgesuchte Umgebung eine wesentliche Rolle. Nach welchen Kriterien analysierst du dann solch einen Raum?

Wenn ich mir einen Raum oder einen Ort zur Schaffung einer neuen Arbeit aussuchen darf, dann passiert das meistens spontan. Ich laufe herum und an einem Ort habe ich dann das Gefühl, hier kann ich einhaken. Wenn ich den Ort ausgewählt habe , dann brauche ich eine Zeit lang, um mich mit dem Raum zu befassen. Das kann über‘s Zeichnen gehen, das kann aber auch einfach dadurch geschehen, dass ich da sitze und mir Notizen mache, was mir gerade einfällt. Dann gibt es meist irgendeine Begebenheit des Raumes, die mich anspricht. Für mein Projekt in Stadtlohn – 120 Kubikmeter – habe ich auf einem Hügel einen unterirdischen Wasserspeicher entdeckt. Ich fand da ein Abluftrohr, habe darauf geschlagen und dann hat der ganze Raum darunter geantwortet. Das war schließlich das Erlebnis, das mir gesagt hat, damit will ich was machen. Und wenn das Phänomen, mit dem ich arbeiten will, fest steht, dann beginnt ein fast wissenschaftliches Umgehen damit: Was ist das für ein Phänomen, wie kann ich das beeinflussen, wie kann ich damit in einen Dialog treten? In Stadtlohn stellte sich dann die Frage, wie bekomme ich Klänge in diesen unterirdischen Raum hinein, damit man die von außen hören kann. Und das ist ein Arbeitsprozess, der manchmal sehr ingenieurhaft werden kann. Dabei habe ich jedoch immer das akustische und plastische Phänomen in Ohr und Auge.

Bei diesen künstlerischen Ortserkundungen kann das mal das Akustische sein, was dich interessiert, und mal das Visuelle?

Ja beides, denn meistens geht es mir darum einen Zusammenhang zwischen dem Akustischen und dem Visuellen herzustellen – eine Art Synästhesie. Oft ist die Beziehung zwischen diesen beiden Aspekten dann durch die Grundkonzeption, mit der ich auf den Ort reagiere, vorgegeben. Welche Anteile dabei das Akustische oder Visuelle übernimmt ist bei mir keine ideologische Frage, sondern ergibt sich. Bei der Stadtlohner Installation 120 Kubikmeter ist ja der Raum, den ich nicht sehen kann, eine riesige Plastik, die ich versuche, hörbar zu machen…

… ihm also dadurch eine Gestalt zu geben, ihn übers Hören sichtbar zu machen.

Ganz genau. Bei dieser Arbeit habe ich zum ersten Mal dem Ort – es handelt sich um einen künstlichen Hügel in einem Park – keine visuellen Objekte hinzugefügt. Da sich der unterirdische Hohlraum, die “unsichtbare Plastik”, also nur über den Klang mitteilen kann, waren mir bei dieser Arbeit kompositorische Überlegungen sehr wichtig. Dabei habe ich massive Klänge mit einer klar definierten Zeitdauer gegen naturnahe Klänge und Pausen gesetzt, deren Dauer jedes Mal neu durch Zufallsoperationen bestimmt wird.

Welche Rolle spielen Schönheit und Design in deiner Arbeit?

Schönheit ist ein ganz schwieriger Begriff – aber natürlich strebe ich bestimmte, eher ambivalente, Empfindungen im Zusammenhang mit meinen Arbeiten an.

Meine konzeptionellen Überlegungen bewegen sich dagegen oft in Begriffen des Design, das stimmt. Dabei spielt es aber auch eine Rolle, dass meinen Arbeiten oft technische Funktionen zugrunde liegen. Daraus ergeben sich physikalische Notwendigkeiten, die ich nicht ignorieren kann. Bei der Wahl der Materialien und Ihrer Verarbeitung versuche ich ihre skulpturalen und technischen Eigenschaften in Einklang zu bringen. Mir gefällt dann die Spannung, die zwischen dem industriell gefertigtem Material und den möglichen Assoziationen entsteht, wenn das Ganze eine Einheit bildet.

Außer dem Werk und der Ästhetik von Joseph Beuys ist vor allem auch das Denken John Cages prägend für deine Kunst.

Das Wichtigste an Cage ist für mich seine Freiheit alle äußeren Umstände in seine Arbeit einfließen zu lassen. Unter anderem bedeutet das, dass alles Klangmaterial sein kann. Er geht ja soweit, dass er von den eigenen Vorlieben frei sein will. So kam er zu seinen Arbeiten mit dem Zufall, die mir gezeigt haben, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, wie man Geschehnisse strukturieren kann. Und damit arbeite ich auch größtenteils: Wenn ich zum Beispiel Wassertropfen benutze, dann baue ich eine kleine Anordnung, die den Zufall bereits impliziert. Wenn ich etwa Wollfäden nehme, an denen das Wasser herunterläuft, so kann ich das Lauftempo nicht genau bestimmen.

Das ist aber kein Zufallsprozess, sondern eine Arbeit mit Unbestimmtheit, “Indeterminacy”, wie Cage sagt.

Ja, Unbestimmtheit ist es hier. In anderen Installationen aber, in denen ich vorproduzierte Klänge benutze, wird deren Erklingen durch Zufallsoperationen ausgelöst. Das passiert über eine digitale Steuerung, die innerhalb eines Zeitrahmens per Zufall diesen oder jenen Klang auswählt.

Das Gespräch fand am 28. August 2002 in Saarbrücken statt.
abgedruckt in: saarbrücker hefte 88, Herbst 2002, S. 47-50