Siebdruckserie

Im Sommer 1989 besuchte ich einen Freund in den österreichischen Alpen. Ich war mit einer Kamera angereist, die zu dieser Zeit ein wichtiges Hilfsmittel war, um mich der Wirklichkeit zu nähern. Nach ein paar Tagen ging ich mit der umfangreichen Kameraausrüstung in den Wald. Mein Freund gab mir dazu ein kleines Metallobjekt mit auf den Weg, das die Form einer Acht hatte, in deren beiden Öffnungen ein Gewinde geschnitten war. Im Wald war ich stundenlang alleine. Einzige Anhaltspunkte waren dieses Metallteil und ein Ort im Wald, den wir bei vorherigen Spaziergängen schon bewundert hatten. Er sah aus wie eine verkleinerte Berglandschaft, die uns an chinesische Landschaftsmalerei erinnerte – ein mit Moos und Flechten überwucherter Felsbrocken, der von Bäumen umstanden war.

Am Anfang war ich etwas ratlos in dieser Situation ohne konkrete Anhaltspunkte, ohne konkreten Arbeitsauftrag, ohne Thema. Nach einer Zeit, in der ich jedem sich zeigenden Ereignis folgte, einem Schmetterling zum Beispiel, begann ich das Metallteil in diesen Garten zu setzen und zu fotografieren. Es wurde zu einer Figur, mit der ich mich im Laufe der Zeit immer stärker identifizierte. Dieses Objekt und ich, wir wurden wie zu einem Pilger. Über mehrere Tage hinweg bewegten wir uns auf einem unsichtbaren Weg durch diese unbekannte Welt. Durch ein starkes Makroobjektiv war meine Wahrnehmung ganz der Größe der Figur und ihrer Umgebung angepasst. Die Schatten der Bäume wurden zu riesigen Wolkenflecken, das Moos zur Alm, der Spalt im Fels zum Abgrund. Der Arbeitsprozess ging bis zu dem Punkt, an dem ich dieser Identifikationsfigur so nah war, dass ich durch eine ihrer Öffnungen hindurchschaute und mit dem Blick hindurchschlüpfte, um plötzlich alles ohne diese Figur zu sehen. Sie hatte sich aufgelöst, diese Figur, mit der ich schon total identifiziert war. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Wegfallen der Figur aus allem auch mir geschah – nur noch Wahrnehmung! Unbeschreiblich schön plötzlich alles!

So entstanden mehrere belichtete Filme, die ich zwar entwickeln ließ, die aber lange in einer Schublade lagen, bevor ich mich daran traute das Erlebte bildlich weiterzuverarbeiten. Erst sieben Jahre später begann ich damit diese Aufnahmen zu sichten,  zu vergrößern und im Siebdruck grafisch umzusetzten. Aus einer größeren Anzahl von Bildern kristallisierten sich Situationen, man könnte sagen „Stationen“ heraus. Dadurch ließen sich die Bilder in eine Ordnung bringen und mir wurde die Parallele zu den Ochsenbildern des Zen bewusst. Einem Bilderzyklus der die Wegerfahrung verbildlicht – wobei ich hier die Entstehung der Bilder als eine dieser Erfahrungen erlebt habe. Der Entstehungsprozess der Bilder und was sie darstellen, schien mir auf wunderbare Weise identisch.


Erstmals veröffentlicht in: ZEN, Nr. 32, 1996, Jahrgang 9, Nr. 2, S. 38-39