Videoinstallation für die Johanneskirche Saarbrücken,
Kooperation mit Rolf Giegold

In der Johanneskirche ist ein Altar auf Zeit aufgestellt: die Installation Flügelaltar von Rolf Giegold und Alexander R. Titz. An einen Tisch erinnert dieser Altar nicht. Brot und Wein lassen sich auf ihn nicht stellen. Auch nicht Bibeln oder Kerzen. Er inszeniert sich als Altar auch ohne liturgische Nutzung. Dieser Altar bietet Bilder, bewegte sogar, und Töne. Er will mit vielen Sinnen wahrgenommen werden. Er ist ein Kontemplationsmittel. Oder besser: ein Angebot zur Kontemplation. Kontemplieren heißt betrachten: die Basis nicht nur des mystischen Weges zur Erkenntnis.

Die Installation von Rolf Giegold und Alexander R. Titz bietet ein Geflecht aus Musik, Dramaturgie des Videotapes und Präsentation in Stahl, Sand und Spiegeln. Reichlich Anknüpfpunkte für den Betrachter, der sich in das Geschehen einklinken kann. Und diese Installation versteckt nicht das christliche Traditionsmaterial, mit dem sie arbeitet. Schon vor dem Ende ‑ wo die hebräischen Worte, die Jesus nach dem Markusevangelium kurz vor seinem Tod am Kreuz sprach, kurz auf dem Bildschirm erscheinen ist klar, dass hier ein Passionsthema durchgespielt wird.

Die beiden Stahlrahmen, mit denen Alexander R. Titz im Videofilm eine Choreographie ganz eigener Art hinter sich bringt, begraben ‑ als Kreuz gelegt ‑ immer mal wieder den zweiten Protagonisten, Rolf Giegold, unter sich. Der da wie Jesus nackt liegt, hängt nicht am, sondern liegt unter dem Kreuz. Interessanter ist die Geschichte, die die beiden Stahlrahmen erzählen, wenn sie keinen unter sich begraben. Da betastet einer sorgfältig, hält sich an den Rahmen fest, hangelt sich hoch, stellt sich auf, schultert einen Rahmen schließlich, beugt sich unter der Last, bewegt sich, geht ein paar Schritte, sinkt zusammen.

Neben der monoton vibrierenden Trommel erzeugen Zwischenschnitte, in denen die Stahlrahmen mit trockenen Schlägen auf den Boden knallen, eine merkwürdige Atmosphäre. Es sind elementare Gesten, mit denen die beiden eine Passionsgeschichte erzählen. Rituale sind zu beobachten, keine expressiven Gefühlsausbrüche, sondern genau zirkulierte Bewegungen fesseln den Betrachter an den Bildschirm. Und er entdeckt sich selbst im Spiegel: „Auch du!“

Jörg Metzinger


Pressartikel Saarbrücker Zeitung vom 13. November 1995