Intervention im öffentlichen Raum am Schaumberg, Tholey

Fünf Schafe mit ihrem Schäfer stehen auf einer Wiese an einem Hang, hohe Büsche bieten der Gruppierung Schutz. Erst beim Näherkommen wird der Betrachter gewahr, dass die Figuren aus Teilen von Abfallbehältnissen montiert wurden – Mülleimern, wie sie sich entlang des Spazierweges befinden, den er gerade verlassen hat.

Auf den ersten Blick erinnert die Platzierung der Gruppe in der Landschaft und ihre Wahrnehmung durch den Spaziergänger auf dem weit oberhalb verlaufenden Herzweg an die pittoresken Szenen in englischen Landschaftsgärten des 17. und 18. Jahrhunderts, bei denen Gebäude und Skulpturen, häufig nur als Attrappen und einzig auf die Wahrnehmung aus der Entfernung hin konzipiert, als Staffage-Elemente fungierten und – aus der Nähe betrachtet – häufig enttäuschten. Auch an die „Rückenfiguren“ C. D. Friedrichs mag man denken. In diesem Sinne ließe sich gar von einer „Potenzierung des romantischen Ausblicks“ sprechen, insofern als der Schäfer dem entfernten und im Sinne der Romantik „bürgerlichen“ Betrachter nicht nur als Blickfang dient, sondern auch als Angebot zur Identifikation, zur Einnahme einer anderen Perspektive in Bezug auf die Landschaft.

Doch geht die Installation von Alexander Titz über eine rein optische Neu-Inszenierung der „alten Landschaft“ hinaus, handelt es sich bei seiner Arbeit doch um eine aktuelle Variante des seit der Antike bekannten Motivs des Schäferidylls: Um das Jahr 42 v. Chr. siedelt Vergil seine Hirtengedichte in Arkadien an – in den folgenden Jahrhunderten das „Symbol der Sehnsucht nach einer friedvollen, heiteren Welt“ schlechthin, hundertfach aufgegriffen in den bukolischen Landschaften der Malerei, in Literatur, Musik und Theater. Vor diesem motivgeschichtlichen Hintergrund betrachtet bedient das Rostfreie Idyll aus der Distanz gesehen durchaus die – nach wie vor „rostfrei-aktuelle“ – utopische Sehnsucht des Rezipienten nach der „guten alten Zeit“, um ihn dann jedoch bei näherer Betrachtung auf sich selbst und auf seinen Umgang mit und seine Erwartungen an Natur und Landschaft zu verweisen: Wir ziehen es heute meist vor, Natur ausschließlich als Landschaft, unter Ausblendung aller Nachteile, rein visuell – „rostfrei“ eben – zu begegnen: „Der Begriff Landschaft wird ganz vom Auge gelenkt. Man kann Landschaft nicht hören, schmecken, riechen, ertasten, nur sehen. Das macht ihren Unterschied zur Natur aus […]. Landschaft als ausschließlich optisch erfaßbare Dimension fordert den Blick ins Weite, auf den Horizont, fordert zumindest die Suche dorthin, die Umkehr aus Holzwegen ins Großräumige, wo es sich lichtet zu blauer Ferne und Utopie. Anders ist Landschaft nicht möglich. Denn mit allen Sinnen erreicht, detailliert sich, was blaue Ferne war, zu Natur, unter Umständen zu disteliger. Nur der weite Horizont ist frei von Stechmücken und Brennesseln.“

Vor dem Hintergrund eines „modernen“ Umgangs mit Natur lassen die Mülleimer auch an Umweltverschmutzung denken, wenngleich der Künstler wohl eher die „Übermöblierung“ der Landschaft mit zivilisatorischen Artefakten, mit Bänken, Abfalleimern, Hinweistafeln, „Kunst in der Landschaft“ im Sinn hat. Paradoxerweise braucht es ein Kunstwerk, um dem Betrachter bewusst zu machen, was in dieser Landschaft „fehlt“, was ursprünglich untrennbar zum Bild unserer Kulturlandschaften – auch zu der am Schaumberg – gehörte:

Mitte der 70er Jahre arbeiteten die Eltern des Künstlers intensiv am Aufbau des Meditationszentrums mit, das bis in die 80er Jahre hinein an der Stelle des heutigen Therapiezentrums bestand. Die Initiatoren hatten das Gelände und die Gebäude von den Mönchen des benachbarten Benediktiner-Klosters gepachtet. Mehrere Ferienaufenthalte, die er mit seiner Familie in der Gemeinschaft des Meditationszentrums verbrachte, haben bei dem Sieben- bis Zehnjährigen intensive Eindrücke hinterlassen – nicht zuletzt habe er „gemeinsam mit Bruder Gabriel die Schafe des Klosters zusammengetrieben“. Vor diesem Hintergrund birgt die Arbeit von Alexander R. Titz auch einen sehr persönlichen utopischen Gehalt, lässt sie sich doch als Ausdruck seiner eigenen Sehnsucht nach einem verlorenen paradiesisch-arkadischen Zustand, dem Ferienreich seiner Kindheit und dem uneingeschränkten Gemeinschafts- und Naturerlebnis, deuten.

Rena Karaoulis